Corona, Klima und Solidarität – wie hängt das zusammen?

Praktiken der Solidarität

Corona, Klima und Solidarität – wie hängt das zusammen?

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Janine Gaumer

„Ohne Solidarität keine Klimagerechtigkeit“

(Brot für die Welt)

„Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz für einander auf eine Probe gestellt.“

(Angela Merkel)

Sowohl für die Coronakrise als auch für die Klimakrise ist Solidarität ein wichtiger Appell-Begriff. Wie verhält es sich mit der rhetorisch geforderten und tatsächlich gelebten Solidarität unter den derzeitigen Pandemieumständen, und was lässt sich daraus für den Kampf gegen den Klimawandel ableiten – oder vielleicht sogar erhoffen?

Die politischen Vertreter*innen der Bundesrepublik, allen voran die Kanzlerin, verlangen Solidarität von der Bevölkerung, damit die Corona-Krise erfolgreich bewältigt werden kann. Dahinter steht der Gedanke: Die Politik gibt die Rahmenbedingungen vor; Unternehmen und Bevölkerung müssen sich auf die neue Situation einstellen und in der Umsetzung mitziehen, weil sonst sämtliche Regeln zur Eindämmung des Virus ohne Effekt blieben. Eine solche Situation haben Umweltverbände und Klimaaktivist*innen schnell fragen lassen: Warum ist jetzt möglich, was angesichts der Klimakrise bislang nicht möglich war? Wäre nicht auch im Kampf gegen den Klimawandel genau diese Art von Solidarität gefragt: Politischer Handlungswille kombiniert mit der Bereitschaft der breiten Masse? Hans Joachim Schellnhuber, einer der renommiertesten Klimaforscher, forderte jüngst eine Art „Klima-Corona-Vertrag“. Im Interview mit dem Online-Magazin Klimareporter sagte er: „Die Solidarität muss also wechselseitig sein. Man könnte es plakativ so ausdrücken: Wer achtlos das Virus weitergibt, gefährdet das Leben meiner Großeltern. Wer achtlos CO2 freisetzt, gefährdet das Leben meiner Enkel.“

Eine nachvollziehbare Forderung – allein: Ganz so einfach dürfte es mit dem „Aus Corona fürs Klima lernen“ leider nicht werden. Und das aus vier Gründen:

1. Wie schwer es einer reichen Gesellschaft fallen wird, dauerhaften Verzicht zu üben, lässt sich angesichts der Reaktionen auf den Corona-bedingten Shutdown leicht ausrechnen: Ein Jahr ohne Sommerurlaub in der Ferne scheint für viele das ultimative Übel zu sein. Zeitweise leere Supermarktregale sind in unserer „Alles ist immer und überall verfügbar“-Welt für manche seelisch nicht zu verkraften. Wir merken gerade jetzt in den Corona-Umständen, von welch hohem Ross des Konsums wir heruntersteigen müssten, um die Klimakrise überhaupt irgendwie in den Griff zu bekommen. Das wäre aber absolut notwendig – und zwar auf lange Sicht gesehen und nicht in einer Schocktherapie, wie wir sie derzeit erleben.

2. Dann ist da noch das Problem mit der Komplexität. Die Botschaft „Wenn zu viele Menschen auf einmal erkranken, bricht unser Gesundheitssystem zusammen, deshalb müssen wir jetzt für ein paar Monate die Füße still halten, um niemanden unnötig zu gefährden“ ist relativ eindeutig und leicht verständlich. Der Zeitraum – wenn auch zum Teil von bis zu einem Jahr die Rede ist – ist einigermaßen überschaubar. Die Aussicht auf eine Lösung des Problems ist gegeben: Beinahe jede*r rechnet mit einem Impfstoff, der vielleicht nicht diesen Herbst, aber dann doch spätestens im Frühjahr verfügbar sein wird. Abwarten, „sich solidarisch zeigen“ und politisch beherztes Handeln fällt einfacher, wenn es um überschaubare Zeitdimensionen geht. Hinzu kommt: Es muss sich ohnehin jede*r an die derzeitigen Einschränkungen halten. Solange niemand von tollen Urlauben oder Partys erzählt, die man selbst verpasst, fällt der Verzicht ungleich leichter (auch wenn man das aktuell vielleicht nicht immer so wahrhaben will).

Beim Klimawandel hingegen ist die Solidaritätsbotschaft ja viel komplizierter. „Verzichtet aufs Fliegen, denn der Flugverkehr ist extrem klimaschädlich.“ „Kauft keine konventionell hergestellten Lebensmittel, denn die Landwirtschaft operiert extrem klimaschädlich.“ „Konsumiert nicht so viel, denn das meiste Materielle wird unter unfairen Bedingungen produziert und von weit her herangeschafft“ – Bei solchen Appellen wird es doch schnell schwierig: Das ganze Leben lang nicht mehr fliegen, obwohl alle anderen doch auch ständig fliegen? Nur noch Bio-Produkte kaufen, die vergleichsweise teuer sind, was angesichts von sozialer Ungleichheit und der Einkommensschere Verteilungsdiskussionen mit sich bringen müsste? Auf Materielles verzichten, obwohl jede*r um einen herum die nächste Gehaltserhöhung sofort aus dem Fenster schmeißt? Man merkt schnell, es mangelt an Vorbildern für Verzicht, oder noch mehr: An einer breiten Massenbewegung, die den Verzicht kollektiv so vorlebt, dass man sich selbst unsolidarisch fühlen würde, verzichtete man selbst nicht auch. Das größte Problem ist wahrscheinlich ohnehin, dass Konsumverzicht eben als Verzicht wahrgenommen wird und nicht als bereichernde Entschlackung und Befreiung des Geistes. Von einer solchen Wahrnehmung, die solidarisches Verhalten in der Klimakrise zu einem Gewinn für alle Menschen werden lassen würde, sind die Gesellschaften der reichen Industrieländer noch sehr weit entfernt.

3. Angesichts der massiven weltweiten Wirtschaftskrise, die aus der Coronakrise folgen wird, wird sich die Ausrichtung des solidarischen Verhaltens sehr bald ändern. Es wird nicht mehr darum gehen, Menschenleben zu retten, sondern die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen. Schon jetzt lassen sich die politischen Forderungen nach „Solidarität mit dem Mittelstand“, „Solidarität mit der Autoindustrie“ usw. usf. vorhersehen. Letztlich wird dies nur die rhetorische Verpackung für Forderungen nach dem Abbau von Umweltstandards, einer geringerer Bepreisung von CO2-Ausstoß sein – Klimaforscher*innen und -aktivist*innen sind schon längst alarmiert ob solcher Aussichten.

Ob es gelingt, die langfristigen Corona-bedingten Wirtschaftshilfen umwelt- und klimabewusst auszurichten, ist letztlich auch keine Frage der Solidarität, sondern einfach eine Frage von Interessen. Wie schwer oder leicht es uns allen aber fallen wird, auch in Sachen Klimawandel solidarischer zu handeln, wird jedoch sehr stark von diesen Rahmenbedingungen abhängen.

4. Die politischen Antworten müssen in der Klimakrise andere sein als sie aktuell in der Corona-Krise angewendet werden. Will man der Klimakrise begegnen, braucht es ein tatsächlich weltweit gültiges solidarisches Handeln: Konsumverzicht der Reichsten dieser Welt (dazu gehören relativ sicher alle, die dies hier lesen), eine Umdeutung oder Neubesetzung von Werten und ihrer Verteilung, wirklich faire Handelsbedingungen, eine menschenfreundliche Migrationspolitik, usw usf. Was es dagegen nicht braucht, sind die in der aktuellen Lage bevorzugten Lösungen: Nationale Alleingänge, eine ausschließliche Konzentration auf die eigene Bevölkerung und Kämpfe um Medizingüter auf dem Weltmarkt.

Was zeigt uns das alles? Solidarisches Verhalten funktioniert anscheinend leider nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Wenn Menschen sich mit den Betroffenen eines Problems unmittelbar verbunden fühlen. Wenn man sich leicht vorstellen kann, selbst zu den Betroffenen zu gehören. Wenn die Zugehörigkeit der Betroffenen mit der eigenen Identität übereinstimmt. Und wenn der zeitliche Rahmen des solidarischen Handeln einigermaßen absehbar ist. All das gilt in der Klimakrise aber nicht. Unsere Bereitschaft für solidarisches Handeln gegen diese Bedrohung setzt daher andere Denkmuster voraus. Denn wenn die genannten Voraussetzungen auch für die Bevölkerung der westlichen Welt gegeben sind, dann dürfte es längst zu spät sein.

Janine Gaumer ist Mitarbeiterin des Oekom-Verlags. Sie hat am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Jena zur Auseinandersetzung um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf promoviert.

 

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