Solidarität hat keine Außengrenze – was wir jetzt tun können

Praktiken der Solidarität

Solidarität hat keine Außengrenze – was wir jetzt tun können

Solidarität Außengrenzen

Karolin-Sophie Stüber | Privat

Daniel Kersting und Karolin-Sophie Stüber

Die Pandemie zeigt, dass wir Menschen (vor dem Virus und auch sonst) nicht gleich sind, sondern unter höchst verschiedenen Bedingungen unsere Leben führen müssen – Unterschiede, die nur ungerecht genannt werden können.

Ein Blick an die europäischen Außengrenzen offenbart diese Unterschiede aufs Schärfste: Auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos sitzen etwa 42.000 Menschen fest, eingepfercht hinter Stacheldrahtzaun in völlig überfüllten Lagern. Abstand halten und gute Hygiene – die Gebote der Stunde – sind dort unmöglich. Es gibt kaum fließendes Wasser und in Teilen des Lagers Moria müssen sich 1.300 Menschen ein Waschbecken teilen. Wenn das Corona-Virus die Lager erreicht, tritt eine humanitäre Katastrophe ein, durch die tausende Menschen ohne jede medizinische Versorgung sterben könnten. Zahlreiche Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Medico International fordern deshalb seit Wochen die Evakuierung der Lager. Doch weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission ergreifen entsprechende Maßnahmen. Die allseits angerufene Solidarität der europäischen Regierungen – sie scheint nur den eigenen Bevölkerungen zu gelten.

Diese Ignoranz ist beschämend, nicht zuletzt deshalb, weil die Politik der EU und insbesondere Deutschlands – vor allem durch den EU-Türkei-Deal – die Zustände auf den griechischen Inseln wesentlich mit zu verantworten haben. Seit Jahren wird den Menschen faktisch die Möglichkeit verwehrt, auf europäisches Festland zu gelangen und einen Asylantrag zu stellen. Das verstößt gegen geltendes Völker-, Menschen- und Europarecht.

Doch kann Solidarität mit den Geflüchteten unter den veränderten Bedingungen der Pandemie überhaupt gelingen, jetzt wo die klassischen demokratischen Partizipationsmöglichkeiten, wie etwa das öffentliche Demonstrieren, nicht mehr möglich sind? – Auf jeden Fall, es gibt Handlungsoptionen! Gerade jetzt muss Solidarität praktisch werden, sich in Haltungen und Handlungen ausdrücken und dabei die Verletzlichsten in den Blick nehmen.

Es ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich, die Menschen jetzt zügig in Sicherheit zu bringen: Zahlreiche Kommunen in Deutschland und europaweit haben ihre Bereitschaft zur Aufnahme der Geflüchteten signalisiert. NGOs in Griechenland haben zudem vorgeschlagen, die nun bis mindestens Juni komplett leer stehenden Hotels zur Unterbringung zu nutzen.

Als Zivilgesellschaft können wir den öffentlichen Druck auf die Parlamente und die Regierungen erhöhen, bis die Verantwortlichen (die Innenministerien von Bund und Ländern, die EU-Kommission und die griechische Regierung) endlich handeln. Lasst uns die verbleibenden Möglichkeiten nutzen, um zivilgesellschaftlich zu zeigen, dass Solidarität nicht an nationalen Grenzen enden darf: Solidarität und Gesundheit für alle!

Wie Solidarität jetzt praktisch werden kann:  

  1. Öffentlichkeit schaffen:
    Helft mit, die Informationen zu verbreiten und nutzt eure Netzwerke und Kanäle, um solidarisches Handeln einzufordern. Nutzt dafür gerne diesen Beitrag und schickt ihn an eure Freund*innen, Familien und Arbeitskolleg*innen.
    Malt Schilder und Transparente und hängt sie aus euren Fenstern.
  2. Vorhandene Petitionen unterschreiben:
    •    #LeaveNoOneBehind: [Hier klicken]
    •    Europe Must Act Now for the Immediate Decongestion of the Aegean Islands: [Hier klicken]
    •    #wirhabenplatz: [Hier klicken]
    •   Griechische Petition für sofortige Evakuierung/Unterbringung in leerstehenden Hotels: [Hier klicken]
    •   Appeal from European doctors: Bring Refugees on the Greek Islands to Safety: [Hier klicken]
  3. Die regierungsverantwortlichen Abgeordnete auf allen Ebenen kontaktieren:
    •    Briefmuster für Schreiben an Abgeordnete: [Hier klicken]
    •    Die E-Mail-Adressen von EU-Abgeordneten, Bundestagsabgeordneten: [Hier klicken]
  1. An die wenigen verbliebenen Initiativen vor Ort spenden, z.B.

Und darüber hinaus:

Weiterführende Informationen und Quellen:

[1] Medico International: Apell – Aufnehmen statt sterben lassen.

[2] Pro Asyl: Vier Jahre EU-Türkei-Deal – und wird es noch schlimmer?.

[3] tageszeitung: Dossier zum Stichwort Lesbos.

[4] Rachelle Pouplier: „Dann wären wir geliefert“, Spiegel-Online vom 28.03.2020.

[4] Valeria Hänsel: Gefangene des Deals. Die Erosion des europäischen Asylsystems auf der griechischen Hotspot-Insel Lesbos,

[5] Refugee Support Aegean: Protect the most vulnerable to ensure protection for everyone.

[6] Equal-Rights.org: European Court of Human Rights on the Situation in the European Hotspot ‚Vial‘ and the Corona Virus.

Daniel Kersting arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Karolin-Sophie Stüber ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Praktiken der Solidarität“ an der Hochschule für Philosophie München.

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